Am
Strand (Im Atemhaus wohnen
S. 14)
Meine
Freundin am Strand
die vierjährige Mulattin
lacht das gelocke Lachen
ihrer Rasse
In
ihren Augen badet das Meer
ihr Haar ist ein Schwarm Schwalben
die Hand eine bronzene Blüte
Sie
schaufelt Sonne in den Blecheimer
schüttet sie in meine Hand
lacht ein Echo in den Sand
Ihr
Schatten durchschneidet den Schatten
eines blonden Knaben
Eine Minute steht das Kreuz
in Glanz gehaun
dann zerbricht es
in zwei entgegengesetzte Bewegungen
Komm
kleine Freundin
der Sand ist reif
wir wollen baun
ein Haus eine Stadt ein Land
füll deinen Eimer mit Sonne
lach um uns ein
weltweites Echo
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Hoffnung
II (Im Atemhaus wohnen S. 43)
Wer
hofft
ist jung
Wer
könnte atmen
ohne Hoffnung
daß auch in Zukunft
Rosen sich öffnen
ein
Leibeswort
die Angst überlebt
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Wandlung
(Im Atemhaus wohnen S. 44)
Wir
kamen Heim
ohne Rosen
sie blieben im Ausland
Unser
Garten liegt
begraben im Friedhof
Es
hat sich
vieles in vieles
verwandelt
Wir
sind Dornen geworden
in fremden Augen
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Doppelspiel
(Im Atemhaus wohnen S. 46)
Wir
verwalten
die Erde
verwandeln
sie
in Gärten Worte Scheiterhaufen
Dieses
Doppelspiel
Blumen Worte
Kriegsgestammel
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Grundworte
(Im Atemhaus wohnen S. 47)
Wortwind
im Menschenmeer
jedes
Wort
eine Stimme
Sie
sagt
das Meer und ich
wir lieben uns
Kommt
trinket Grundworte
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Liebe
(Im Atemhaus wohnen S. 51)
Zwei
wolken
umarmen sich
bald werden sie
uns umarmen
Im
Wald
wächst eine Wiege
Lockruf und Antwort
Die
beiden Tauben
im Vorhof des Tempels
verlobt
Der
Ring hat
einen Finger gefunden
der ihn nicht mehr entläßt
Unter
dem Baldachin
der Schleier
hat die Gestalt einer Amsel
sie singt auf den
Lippen der Braut
Rosen
legen
ihre Dolche schlafenr
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Die
Sekunden (Im Atemhaus wohnen
S. 53)
Sie
fallen leicht wie Luft
durch die Wimpern
Wir können uns nicht
verabschieden
Keine
Lücke
zwischen den Stürzen
Wenn
wir erzählen möchten
der letzte Traum
war so und so
oder
was aus Atlantis kommt
in Andeutungen
zwischen
zwei Augenblicken
unsere Rede
nie zu Ende geführt
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Du
und ich (Im Atemhaus wohnen
S. 54)
Ich
sage
du und ich
sind unsre Welt
Sie
ist ein Ich
wie ich und du
blüht
wie wir
wird sterben wie wir
und
Platz machen
andern Welten
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Die
Götter II (Im Atemhaus
wohnen S. 71)
Die
Götter
ja wußten sie
was uns not tut
Sie
schenkten uns
was sie erfanden
Feuer Wasser Luft
die arglose Erde
Es
war zuviel
Wir
stecken die Erde in Brand
Rauch verspestet die Luft
Luftwolken fallen ins Wasser
es tränkt uns
mit Gift
Die
Götter zogen sich zurück
in den unnahbarsten Himmel
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Die
Zeit (Im Atemhaus wohnen S.
74)
Wird
kommen die Zeit
ist da
vergeht und bleibt
spielt
mit dir Blindekuh
versteckt sich nachts
ein Silbervogel
in deinem Traum
terne
fallen
der Mond
kommt und geht
mit der Zeit
die vergeht und
bleibt
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Daheim
(Eingeständnis S. 93)
In der Fremde daheim
Land
meiner Muttersprache
sündiges büßendes Land
ich wählte dich
als meine Wohnung
Heimatfremde
wo
ich viele
fremde Freunde
liebe
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(Blinde
Sommer - Gesammelte Gedichte S. 86)
Meine
Nachtigall
Meine
Mutter war einmal ein Reh
Die goldbrauen Augen
die Anmut
blieben ihr aus der Rehzeit
Hier
war sie
halb Engel halb Mensch —
die Mitte war Mutter
Als ich sie fragte was sie gern
geworden wäre
sagte sie: eine Nachtigall
Jetzt
ist sie eine Nachtigall
Nacht um Nacht hore ich sie
im Garten meines schlaflosen Traumes
Sie singt das Zion der Ahnen
sie singt das alte Österreich
sie singt die Berge und Buchenwälder
der Bukowina
Wiegenlieder
singt mir Nacht um Nacht
meine Nachtigall
im Garten meines schaflosen Traumes
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(Blinde
Sommer - Gesammelte Gedichte S. 87)
Der
Vater
Am
Hof des Wunderrabi von Sadagora
lernte der Vater die schwierigen Geheimnisse
Seine Ohrlocken läuteten Legenden
In den Händen hielt er den hebräischen Wald
Bäume aus heiligen Buchstaben streckten Wurzeln
von Sadagora bis Czernowitz
Der Jordan mündete damals in den Pruth —
magische Melodien im Wasser
Der Vater sang sie lernte und sang das
Erbe der Ahnen verwuchs mit
Wald und Gewässern
Hinter den Weiden neben der Mühle
stand die geträumte Leiter
an den Himmel gelehnt
Jacob nahm auf den Kampf mit den Engeln
immer siegte sein Wille
Von Sadagora nach Czernowitz und
zurück
zum Heiligen Hof gingen die Wunder
nisteten sich ein im Gefühl
Der Knabe erlernte den Himmel kannte die
Ausmaße der Engel ihre Distanze und Zahl
war bewandert im Labyrinth der Kabbala.
Einmal wollte der Siebzehnjährige
die andere Seite sehn
ging in die weltliche Stadt
verliebte sich in sie
bliebe an ihr haften
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Sekunde
(Im Atemhaus wohnen S. 128)
Wie
lang
kann man warten
Eine
Sekunde
Ewigkeit
die
nächste
ist Zeit
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Nicht
ich (Im Atemhaus wohnen S. 127)
Wer
mich kennt
weiß
daß ich nicht
Ich bin
nur
eine
verschwiegene Stimme
Mein
Wort
du solltest es
besser wissen
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Musik
(Im Atemhaus wohnen S. 124)
Aus
welchem Instrument
tönt ihr Takt
an unser Ohr
Musik
sind wir
ihre Stimme
schwingt
ins uns
Hör
die Erde tönen
im Atemwort
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Zirkel
(Im Atemhaus wohnen S. 121)
Der
Zirkel
zieht einen Kreis
um einen Punkt
Nicht
jeder Zirkel
nimmt jeden auf
in seinen Kreis
Kreislauf
um einen Punkt
um einen Schwerpunkt
Nicht
jeder Zirkel
zieht einen Kreis
um einen Schwerpunkt
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Mutterland
(Mutterland S. 17)
Mein
Vaterland ist tot
sie haben es begraben
im Feuer
Ich
lebe
in meinem Mutterland
Wort
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Immer
im Gespräch (Mutterland
S. 28)
Ichworte
Duworte
die dich verwandeln
Auf dem Weg
zu Wasser Wäldern Bergen
zu dir
immer
im Gespräch
mit der Atemzeit
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Fragenzeichen
(Mutterland S. 51)
Du
sprichst mich an
Hat dein Wort mich erkannt?
Ich bin ein Fragenzeichen
kein Punkt
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Narben
(Mutterland S. 54)
Wenn
der Tag
vernarbt ist
brechen auf
die Wunden der Nacht
Sternfälle
säumen den Traum
er fängt auf was ihm e
in den Schoß fälltlhe
Mir
fällt
der Traum in den Schoß
eh mich der Schlaf überrascht
und die Nacht
vernarbt
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Wünsche
(Eigengeständnis S. 90)
Ich
möchte ein Magnolienbaum sein
jeden Mai blühen
Eine Nachtigall möchte ich sein
mit süßer Stimme
oder
ein Berg
von der Sonne umarmt
reingewaschen vom Regen
endlose Gipfelschau
ein Jahrtausendeleben
Nein
kein Magnolienbaum möchte ich sein
kein Nachtigall
auch kein Berg
Ich
will ich sein
Menschen lieben
Weltspuren folgen
Und wenn der Sprachgeist erlaubt
mit einigen Worten
meinen Tod überleben
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Menschlich
II (Eingeständnis S. 95)
Wenn
man lang
in die Wolken blickt
sieht man oft
Ungeheuer und Engel
Auch
das Laub hat
viele Gesichter
Manchmal erkenne ich
einen Freund
im Blattwerk
So
menschlich werden zuweilen
vertraute Dinge
Aber
die Menschen
sind Rätsel
die ich lösen möchte
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Einsamkeit
(Gesammelte Gedichte, pg. 374)
Wahrgeworden
die Weissagung der Zigeunerin
Dein
Land wird
dich verlassen
du wirst verlieren
Menschen und Schlaf
wirst
reden
mit geschlossenen Lippen
Zu fremden Lippen
Lieben
wird dich
die Einsamkeit
wird dich umarmen
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Letzte
Mutter (Andere Zeichen - GG
- 276)
In
Blut und Wasser geboren
erzogen im Urwald
der Großstadt
Ein
Dschungel grenzt
an den andern
durch Messer getrennt
Mit
dem Lichtgipfel fliegen
im Giftfluß schwimmen
Letzte
Mutter
Luft
wir bringen sie um
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(Blinde
Sommer - GG 100)
Damit
kein Licht uns liebe
Sie kamen
mit scharfen Fahnen und Pistolen
schossen alle Sterne und den Mond ab
damit
kein Licht uns bliebe
damit kein Licht uns liebe
Da
begruben wir die Sonne
Es war eine unendliche Sonnenfinsternis
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Evalose
Zeit (Blinde Sommer - GG 47)
In
der Mondsubstanz
aus geborgtem Licht
wohnt das verwitterte
Adamsgesicht
Die
Wangesäcke
hängen im Eis
der Mund vergilbt
im leeren Kreis
Der
Augenzwilling
schwarz, entzweit
starrt in die
evalose Zeit
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